Was muss ein Selbständiger im Insolvenzverfahren nach Freigabe der selbständigen Tätigkeit an den Insolvenzverwalter abführen? – Für viele Selbständige ist die Insolvenz nicht das Ende, sondern oft ein Neustart – auch beruflich. Doch was passiert, wenn die selbständige Tätigkeit im Insolvenzverfahren fortgeführt wird? Was bedeutet die sogenannte „Freigabe der selbständigen Tätigkeit“ durch den Insolvenzverwalter, und wie viel Geld muss ein Schuldner in diesem Fall abführen? In diesem Beitrag klären wir alle relevanten Aspekte und zeigen auf, wie Selbständige ihre Rechte kennen und effektiv nutzen können.
1. Die Insolvenz des Selbständigen – keine Seltenheit
Selbständige, Freiberufler oder Kleinunternehmer sind häufiger von einer Insolvenz betroffen als angestellte Arbeitnehmer. Die Gründe reichen von schwankenden Einnahmen über Zahlungsausfälle bis hin zu pandemiebedingten Umsatzeinbrüchen. Doch eine Insolvenz bedeutet nicht zwangsläufig das Ende der beruflichen Existenz.
Im Gegenteil: Die Insolvenzordnung (InsO) sieht ausdrücklich vor, dass Schuldner ihre selbständige Tätigkeit auch während des Verfahrens fortsetzen dürfen – unter bestimmten Voraussetzungen.
2. Freigabe der selbständigen Tätigkeit – was bedeutet das?
Wenn ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, fällt das gesamte Vermögen des Schuldners in die Insolvenzmasse. Das betrifft grundsätzlich auch künftige Einkünfte. Damit der Schuldner weiterhin als Selbständiger tätig sein kann, muss der Insolvenzverwalter die selbständige Tätigkeit freigeben (§ 35 Abs. 2 InsO).
Die Freigabe bewirkt Folgendes:
- Der Schuldner darf seine Tätigkeit eigenverantwortlich fortführen.
- Die daraus resultierenden Einkünfte fallen nicht mehr automatisch in die Insolvenzmasse.
- Der Insolvenzverwalter hat jedoch Anspruch auf eine sogenannte fiktive Abführung, die dem pfändbaren Einkommen eines vergleichbaren abhängig Beschäftigten entspricht.
3. Was muss abgeführt werden? – Das fiktive Einkommen
Nach der Freigabe schuldet der selbständig tätige Schuldner der Insolvenzmasse monatlich den Betrag, den er als Arbeitnehmer mit einem vergleichbaren Einkommen abführen müsste.
Dies wird als fiktives pfändbares Einkommen bezeichnet. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Schuldner tatsächlich diesen Betrag erwirtschaftet oder nicht. Es handelt sich um eine pauschalierte Bemessung, die der Insolvenzverwalter ansetzt – in der Regel anhand der Pfändungstabelle gemäß § 850c ZPO.
Beispiel:
Ein lediger Schuldner ohne Unterhaltspflichten erzielt als Selbständiger ein monatliches Nettoeinkommen von 2.200 Euro. Nach der Pfändungstabelle wäre davon ein Betrag von ca. 260 Euro monatlich pfändbar – diesen Betrag müsste der Schuldner an den Insolvenzverwalter abführen, unabhängig davon, ob dieser Betrag in der Selbständigkeit tatsächlich monatlich übrig bleibt.
4. Was passiert, wenn die Einkünfte schwanken?
Ein großes Problem für Selbständige sind schwankende Einnahmen. Während in einem Monat hohe Umsätze erzielt werden, kann es im nächsten zu Einbrüchen kommen. Die Regelung der fiktiven Abführung berücksichtigt dies nicht ausreichend.
Das kann zur Folge haben, dass Selbständige in wirtschaftlich schlechten Monaten trotzdem zur Zahlung fiktiver Beträge verpflichtet sind – die Liquidität leidet.
Daher gilt: Wer als Schuldner mit einem Insolvenzverwalter über eine Freigabe verhandelt, sollte rechtzeitig und schriftlich eine individuelle Regelung anstreben. Dabei kann auch eine abweichende Berechnungsweise mit dem Insolvenzverwalter oder durch gerichtlichen Beschluss (§ 36 InsO) durchgesetzt werden.
5. Kann das Insolvenzgericht helfen?
Ja, das Insolvenzgericht kann helfen. Wenn der Schuldner mit dem Insolvenzverwalter keine einvernehmliche Lösung über die Höhe der abzuführenden Beträge erzielen kann, kann das Insolvenzgericht auf Antrag des Schuldners den abzuführenden Betrag anpassen oder festlegen.
Das Gericht orientiert sich dabei an den wirtschaftlichen Verhältnissen des Schuldners und kann den Betrag im Einzelfall nach unten korrigieren, insbesondere wenn nachgewiesen werden kann, dass die fiktive Berechnung existenzbedrohlich wäre.
Tipp: Dokumentieren Sie alle Einnahmen und Ausgaben sorgfältig, um dem Gericht eine realistische Einschätzung Ihrer wirtschaftlichen Lage zu ermöglichen.
6. Was passiert bei fehlender Abführung?
Wenn der Schuldner den vom Insolvenzverwalter geforderten Betrag nicht abführt, drohen verschiedene Konsequenzen:
- Der Insolvenzverwalter kann versuchen, tatsächliche Überschüsse aus der Selbständigkeit zu pfänden.
- Es kann zu einer Versagung der Restschuldbefreiung kommen (§ 290 InsO).
- Im schlimmsten Fall kann das Verfahren auf Antrag eingestellt werden.
Daher sollte der Schuldner sich rechtzeitig mit dem Insolvenzverwalter abstimmen und gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen, wenn die Abführung zu hoch angesetzt ist.
7. Vorteile der selbständigen Tätigkeit in der Insolvenz
Trotz aller Hürden bietet die Fortführung einer selbständigen Tätigkeit im Insolvenzverfahren auch Chancen:
- Flexibilität: Der Schuldner kann seine berufliche Laufbahn eigenständig fortsetzen.
- Einkommenssteigerung: Anders als beim festen Arbeitsverhältnis besteht die Möglichkeit, durch Einsatz und Kreativität höhere Einnahmen zu erzielen.
- Reputation: Der Selbständige bleibt im Markt präsent – das erleichtert den Neustart nach der Insolvenz.
8. Besonderheiten bei Aufstockung mit ALG II oder Grundsicherung
Viele Selbständige erzielen zunächst nur geringe Einkünfte und sind auf ergänzende Leistungen vom Jobcenter angewiesen. In diesen Fällen muss genau geprüft werden, wie sich die Abführungspflicht mit dem Existenzminimum vereinbaren lässt.
Grundsätzlich gilt: Sozialleistungen sind unpfändbar, jedoch kann es zu Konflikten kommen, wenn der Insolvenzverwalter fiktive Beträge verlangt, die das tatsächliche Einkommen übersteigen.
Hier sollten Schuldner auf den Schutz durch ein Pfändungsschutzkonto (P-Konto) setzen, um sich vor unrechtmäßigen Zugriffen zu schützen. Mehr Informationen zur Umwandlung und Bescheinigung für das P-Konto finden Sie auf www.p-kontobescheinigung.de – dort können Sie auch direkt eine aktuelle P-Konto-Bescheinigung beantragen.
9. Empfehlungen für Selbständige im Insolvenzverfahren
1. Beratung in Anspruch nehmen: Lassen Sie sich frühzeitig von einem im Insolvenzrecht erfahrenen Rechtsanwalt beraten – zum Beispiel bei der Kanzlei Brandt.
2. Einnahmen und Ausgaben dokumentieren: Führen Sie ein präzises Kassenbuch, um dem Insolvenzverwalter transparente Informationen zu liefern.
3. Individuelle Regelung treffen: Verhandeln Sie mit dem Insolvenzverwalter oder beantragen Sie eine gerichtliche Anpassung der Abführungspflicht.
4. P-Konto einrichten: Schützen Sie Ihr Konto vor Pfändungen – alle Informationen dazu finden Sie auf www.p-kontobescheinigung.de.
5. Überhöhte Forderungen anfechten: Akzeptieren Sie keine willkürlichen fiktiven Abführungen – das Gericht kann helfen.
10. Fazit
Selbständige müssen im Insolvenzverfahren nach Freigabe ihrer Tätigkeit regelmäßig Beträge an den Insolvenzverwalter abführen – und zwar auf Basis eines fiktiven Arbeitnehmereinkommens. Diese Praxis ist oft problematisch, da sie nicht die realen Einkommensverhältnisse berücksichtigt.
Doch mit guter Vorbereitung, klarer Kommunikation und juristischem Beistand lässt sich ein fairer Weg durch das Verfahren finden. Wichtig ist, aktiv zu handeln, statt abzuwarten – und sich rechtzeitig die notwendigen Schutzmaßnahmen zu sichern.
Ein P-Konto schützt vor Kontopfändungen – und mit einer aktuellen Bescheinigung sind Sie auf der sicheren Seite. Nutzen Sie dazu den Service von www.p-kontobescheinigung.de – einfach, schnell und rechtssicher.
Rechtsanwalt und Schuldnerberater Brandt hilft Ihnen gerne weiter. Vereinbaren Sie noch heute einen Beratungstermin unter 03 82 03 / 74 50 20 oder über das Kontaktformular auf www.rain-brandt.de.