Wird ein Insolvenzverfahren vor einem deutschen Gericht eröffnet, ist die zentrale Anlaufstelle für alle Fragen zur Pfändbarkeit des Einkommens der Insolvenzverwalter. Doch was passiert, wenn der Schuldner seinen Wohnsitz oder Arbeitsplatz ins Ausland verlegt? Und nach welchem Recht bemessen sich dann die Pfändungsfreigrenzen?
🔍 Zuständigkeit des Gerichts entscheidet über das anwendbare Recht
Mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Deutschland bleibt das zuständige Insolvenzgericht unabhängig vom Wohnort des Schuldners zunächst weiterhin federführend. Selbst wenn der Schuldner später ins Ausland zieht, bleibt das deutsche Insolvenzgericht für das Verfahren zuständig – solange es bereits eröffnet ist. Das betrifft auch die Anwendung der deutschen Pfändungsschutzvorschriften, insbesondere §§ 850 ff. ZPO in Verbindung mit der Insolvenzordnung (InsO).
Allerdings verschiebt sich die gerichtliche Zuständigkeit, wenn vor Verfahrenseröffnung der Mittelpunkt der selbständigen oder unselbständigen Tätigkeit ins Ausland verlagert wurde. Dann kann auch das zuständige Gericht im Ausland zuständig werden – insbesondere bei EU-Staaten nach der EuInsVO (Europäische Insolvenzverordnung).
⚖️ Welche Rolle spielt der Wohnsitz für die Pfändungsfreigrenzen?
Die zivilprozessuale Zuständigkeit richtet sich in solchen Fällen nach § 828 Abs. 2 ZPO. Demnach ist für Vollstreckungssachen in Deutschland grundsätzlich das Amtsgericht zuständig, an dem der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Gibt es keinen Wohnsitz im Inland mehr, greift § 23 ZPO – maßgeblich ist dann das Vermögen des Schuldners, also z. B. Einkommen oder Konten im Inland.
Das bedeutet konkret: Selbst wenn der Schuldner nicht mehr in Deutschland wohnt, kann deutsches Recht auf seine pfändbaren Einkünfte Anwendung finden – sofern das Insolvenzverfahren hier eröffnet wurde.
🇦🇹 Beispiel Österreich: Deutsches Recht gilt trotz ausländischem Einkommen
Ein wegweisender Beschluss des Landgerichts Traunstein (Az. 4 T 263/09) stellte klar: Wird das Insolvenzverfahren in Deutschland eröffnet, unterliegt auch im Ausland erzieltes Arbeitseinkommen dem deutschen Insolvenzrecht. Das betrifft insbesondere die Anwendung der deutschen Pfändungsfreigrenzen.
Nach der EU-Insolvenzverordnung gilt das Recht des Staates, in dem das Verfahren eröffnet wurde – also deutsches Recht. Das umfasst:
- die Ermittlung der Insolvenzmasse,
- den Umgang mit nach Verfahrenseröffnung erzieltem Einkommen,
- sowie die Berechnung der pfändbaren Beträge.
Auch Einkommen aus Österreich wird also nach deutschem Recht beurteilt, sofern der Arbeitgeber dort unter das EU-Recht fällt.
🇨🇭 Besonderheit Schweiz: Kein EU-Mitglied – dennoch deutsches Recht möglich
Anders liegt der Fall bei Staaten außerhalb der EU, wie etwa der Schweiz. Auch hier hat der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Beschluss vom 20. Juli 2017 (Az. IX ZB 63/16) eindeutig Stellung bezogen:
Schweizer Altersrenten eines in Deutschland wohnhaften Insolvenzschuldners sind trotz ihrer Unpfändbarkeit nach Schweizer Recht Teil der deutschen Insolvenzmasse.
Der BGH begründete dies mit dem sogenannten „lex fori concursus“-Prinzip: Entscheidend ist nicht, woher die Einkünfte stammen, sondern wo das Verfahren eröffnet wurde. Im deutschen Insolvenzverfahren richtet sich daher auch die Pfändbarkeit ausländischer Einkünfte nach deutschem Recht – auch wenn diese nach dem Recht des Herkunftslandes unpfändbar wären.
Zentrale Norm hierfür: § 850e ZPO i. V. m. § 36 InsO, die dem Insolvenzgericht erlauben, verschiedene Einkünfte zusammenzurechnen und die Pfändbarkeit zu bestimmen – unabhängig vom ausländischen Rententräger.
📌 Kein eröffnetes Verfahren? Dann gilt das Recht am Ort der Vollstreckung
Ist noch kein Insolvenzverfahren eröffnet, gilt das sogenannte Belegenheitsprinzip. Das heißt: Die Pfändbarkeit richtet sich dann nach dem Recht des Landes, in dem die Vollstreckung betrieben wird bzw. in dem sich das Vermögen befindet.
Beispiel:
- Arbeitgeber in Österreich: Anwendung österreichischen Rechts.
- Arbeitgeber in der Schweiz: Anwendung Schweizer Pfändungsschutzvorschriften.
Diese Sichtweise bestätigte der BGH in einem Urteil vom 20. Dezember 2012 (Az. IX ZR 130/10). Der Drittschuldner – etwa ein ausländischer Arbeitgeber – bestimmt das anwendbare Recht, sofern kein Insolvenzverfahren eröffnet ist.
✅ Fazit: Deutsche Insolvenz eröffnet – deutsches Recht gilt
Ob Einkommen aus der Schweiz, Österreich oder einem anderen Land – sobald ein deutsches Insolvenzverfahren eröffnet ist, richtet sich die Berechnung der Pfändungsfreigrenzen nach deutschem Recht.
Das hat mehrere Konsequenzen:
- Auch ausländisches Einkommen gehört zur Insolvenzmasse (§ 35 InsO).
- Die Pfändbarkeit richtet sich nach den deutschen Pfändungsschutzvorschriften.
- Das gilt auch bei unpfändbaren Leistungen im Ausland – sofern sie in Deutschland pfändbar wären.
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